Seit wenigen Minuten befinde ich mich am Wasser und ich bin fest überzeugt davon, dass die Hechte heute beißen werden! Es ist vielleicht der fünfte Wurf, als mein Gummifisch erneut auf die Wasseroberfläche trifft und zum Gewässergrund sinkt. Im Zeitlupentempo hole ich den Köder ein, als plötzlich ein heftiger Ruck durch den Rutenblank fährt! Biss! Anhieb!
Der Haken sitzt sicher im Hechtmaul und der Drill beginnt. Die Spinnrute ist zum Halbkreis gebogen und mir ist sofort klar, dass am anderen Ende der Schnur eine Hechtmutti tobt. Eine rasante Flucht jagt die nächste und ein ums andere Mal kreischt die Rollenbremse und singt dabei ihre schönste Melodie. Ich liebe einfach diesen Sound!
Mit einer Richtungsänderung wechselt der Hecht schlagartig seine Strategie. Er versucht an das Ufer zu flüchten und bricht dabei seitlich aus. Aber nicht mit mir, denn ich bin vorbereitet. Gefühlvoll pumpe ich den Fisch die Uferkante entlang und seine Gegenwehr lässt allmählich nach. Es folgt ein letzter blitzartiger Fluchtversuch, den meine Hechtrute allerdings sauber abfängt.
Ich positioniere den Unterfangkescher im Wasser und führe den Hecht sicher über die Maschen. Wahnsinn, welch ein tolles Prachtexemplar mit einer wunderschönen Zeichnung.
Voller Euphorie und mit Adrenalin vollgepumpt setze ich zum Kiemengriff an, um den Hecht aus dem Kescher zu holen und den Haken zu lösen. Mein Blick schweift in sein mit rasiermesserscharfen Zähnen gespicktes Maul. Der Gummifisch sitzt sehr tief im Schlund, so dass der Hecht den Köder mit einer blitzartigen Attacke überwältigt haben muss.
Während mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt, dreht sich der Hecht völlig unerwartet und ohne Vorwarnung um seine eigene Achse! Bei diesen starken Bewegungen verdoppelte sich gefühlt sein gesamtes Gewicht. Parallel schlägt er heftig und reißt seinen mächtigen Schädel hin und her!
Explosionsartig fährt ein unglaublicher Schmerz durch meine Hand und für den Bruchteil einer Sekunde wird mir schwarz vor Augen. Mir ist sofort klar, dass der Räuber mich richtig erwischt haben musste. In den vergangenen Jahrzehnten geriet ich hunderte Male mit Hechtzähnen in Kontakt. Hier wusste ich aber direkt, dass es dieses Mal nicht so glimpflich ausgehen würde, wie jemals zuvor.
Es lief zwar alles in Sekundenschnelle ab, aber dennoch fühlte ich, wie mich die Zähne bis auf den Handknochen aufschlitzten. Sofort schoss das Blut aus der offenen Wunde. Alle Versuche, die Blutung zu stoppen, schlugen fehl. Etliche Taschentücher waren nach wenigen Sekunden Blutgetränkt.
Jetzt stand ich vor einer brisanten Entscheidung! Soll ich direkt ins Krankenhaus fahren oder vielleicht doch noch versuchen weiter zu angeln?! Schließlich biss der Hecht nach wenigen Minuten...
Die Leidenschaft für das Angeln besiegte letztendlich die Vernunft und ich entschied mich für die erste Variante. Ob ich diese Entscheidung noch bereuen sollte?
Unter starken Schmerzen warf ich den Köder erneut aus. Das Blut lief weiterhin unaufhörlich aus der offenen Wunde! Es kam, wie es kommen musste und sofort erfolgte der nächste Biss. Aber selbst der Drill ließ mich die Schmerzen nicht vergessen. Ich biss auf die Zähne und konnte den Hecht kurze Zeit später landen.
Zusammen mit meinem Angelbuddy, der sich regelmäßig nach meinem Wohlbefinden erkundigte, konnten wir nach 90 Minuten insgesamt sieben Hechtbisse verzeichnen und einige Räuber auf die Abhakmatte legen. Wie beim Roulette im Casino hieß es jetzt allerdings "rien ne va plus - nichts geht mehr"!
Wir beendeten den leider viel zu kurzen, dafür aber durchaus erfolgreichen Angeltag. Mittlerweile war der Nachmittag dieses denkwürdigen Samstags angebrochen und für mich ging es jetzt schleunigst in die Notaufnahme, um die Wunde eben desinfizieren und nähen zu lassen. So dachte ich es mir zumindest.
Ehe ich mich versah, begutachtete ein Arzt meine Verletzung im Krankenhaus und ließ meine Gedanken mit den Worten "Das können wir hier nicht machen, das muss operiert werden" platzen. Dafür musste allerdings erstmal der Handchirurg eintreffen, der sich natürlich schon in seinem wohlverdienten Feierabend befand. Insgesamt dauerte es nach meiner Ankunft in der Notaufnahme sieben Stunden, bis meine Hand wieder zusammengeflickt war.
Die Bissverletzung begann am Fingergelenk, wo sie bis auf den Knochen das Fleisch durchdrang und dabei sämtliche Adern zerschnitt. Von dort zog sie sich einige Zentimeter Richtung Handrücken, wobei das Gewebe völlig zerstört wurde.
Damit aber noch nicht genug, denn zu allem Überfluss erwischte der Hecht auch noch die Sehne, die über dem Fingerknochen verlief. Sie konnte allerdings wieder genäht werden. Wer mich kennt, weiß, dass ich keine halben Sachen mache und so nahm ich auch noch eine Kapselverletzung in Kauf.
Wie sollte es auch anders sein, natürlich hatte sich zu diesem Zeitpunkt das Fleisch bereits verfärbt und entzündet. Schließlich musste ich ja nach der Verletzung noch angeln, im Wasser rumpatschen und ein paar Hechte vor die Kamera halten. Solltet Ihr am Wasser künftig eine ähnliche Verletzung erleiden und ebenfalls weiterangeln, dann plant sicherheitshalber etwas mehr Zeit ein. Um eine schlimme Infektion und Blutvergiftung zu vermeiden, geht es im Krankenhaus nämlich für einige Tage an den Tropf, wo Ihr unter anderem eine Infusion mit flüssigen Antibiotika bekommt.
Wäre die Verletzung nicht schon schlimm genug, so muss ich vorerst komplett auf das Angeln verzichten. Der Finger wurde mit einer Schiene stabilisiert und mit einem dicken Verband gesichert. Zudem hat mir der Arzt eine Stilllegung der Hand verordnet. Ich soll sie hoch lagern, damit nicht zu viel Blut hineinläuft und sie möglichst nicht bewegen.
Natürlich habe ich das Erlebnis mehrmals Revue passieren lassen. Ich fische bereits mein gesamtes Leben auf Hecht und immer wieder kam es in der Vergangenheit durch den Kontakt mit Hechtzähnen zu leichten Schnittverletzungen. Ich denke, dass sich davon kein Hechtangler freisprechen kann und sich nahezu jeder schon die eine oder andere leichte Verletzung an den Händen zugezogen hat.
Allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass mir eine solch schlimme Verletzungen widerfährt. Jetzt weiß ich aber, dass weder die größte Erfahrung noch die allerhöchste Konzentration bei der Versorgung des Hechtes davor schützt. Ihr könnt noch so gut auf alles Acht geben, aber trotzdem wisst Ihr nie, wie sich der Fisch verhält. Es bedarf nicht einmal einer Unachtsamkeit, sondern eine Verkettung unglücklicher Umstände reicht vollkommen aus. Dementsprechend könnt Ihr zwar eine Verletzung nie ausschließend, aber Ihr könnt im Vorhinein Sicherheitsvorkehrungen treffen, damit es glimpflich ausgeht.
Ich habe die angelfreie Zeit sinnvoll genutzt und mir über Schutzmaßnahmen Gedanken gemacht. Folgende Ausrüstungsgegenstände begleiten mich jetzt auf all meinen Angeltouren:
Ein hochwertiger Landehandschuh bietet mir nicht nur Schutz vor den scharfen Hechtzähnen, sondern auch vor freien Hakenspitzen und schlimmen Schnittverletzungen bei der Versorgung von Hechten. Der Handschuh ist extrem stichfest und schnittbeständig. Dennoch ist Vorsicht geboten, weil kein Landehandschuh zu 100 % Schutz bietet. Sollte trotzdem unter starker Krafteinwirkung ein Hechtzahn hindurchgelangen, so wird die Energie gedämpft und die Verletzung fällt weitaus geringer aus.
Des Weiteren gehört ein kleines "Erste Hilfe Kit" im Miniformat ab jetzt zu meinen ständigen Begleitern am Wasser. Aufgrund der Kompaktheit kann ich das Set in jeder Angeltasche unterbringen und habe es direkt griffbereit. Sollte es trotz äußerster Vorsicht beim Angeln zu einer Verletzung kommen, so kann ich die Wunde umgehend mit einem desinfizierenden Wundspray reinigen und anschließend verbinden. Neben elastischen Fixierbinden, wasserfesten Pflastern, Kompressen und Reinigungstüchern sind weitere praktische Utensilien für die Erstversorgung enthalten.
Aktuell schmerzt das Fingergelenk sehr stark, das Fleisch ringsherum ist taub und der Finger steif, aber dennoch blicke ich positiv in die Zukunft und hoffe, dass ich in ein paar Wochen wieder am Wasser sein darf. Dann heißt es allerdings "Safety First" und das nicht nur beim Hechtangeln!